Eine Handlungsempfehlung für eine zeitgemäße Kulturarbeit, um die gesellschaftliche Relevanz von Kulturentwicklung zu steigern.
Vom Klimawandel bis hin zur Mobilitätswende
Die kommunale Verwaltung befindet sich im Wandel, nicht zuletzt durch Digitalisierung, Klimawandel oder die Mobilitätswende. Doch wie kann es der öffentlichen Verwaltung gelingen, den Kulturwandel hin zu mehr Offenheit und Innovationsfähigkeit zu vollziehen? Welche Prozesse braucht ein zeitgemäßes Kulturmanagement im Kontext von kommunaler Kulturarbeit? Im Kulturleitbild der Stadt Dornbirn (https://www.dornbirn.at/fileadmin-newsportal/user_upload/Kulturleitbild_2_Download.pdf) aus dem Jahr 2019 schreibt die Dornbirner Bürgermeisterin Andrea Kaufmann im Vorwort:
„Gesellschaftliche Veränderungen, wie sie etwa Digitalisierung, Migrationsbewegungen oder rasche und gezielte Maßnahmen zum Klimawandel bringen werden, offerieren neue Entwicklungschancen, führen aber auch zu Verunsicherungen. Deshalb ist es wichtig, Zukunftsbilder zu entwerfen und Zielsetzungen zu formulieren. Doch genauso wichtig ist in diesem Zusammenhang eine Veränderung des politischen Selbstverständnisses. Die österreichische Autorin Maja Haderlap hat dazu kürzlich einen kritischen Anstoß gegeben: Was man in der Politik in der Öffentlichkeit sieht, sind reine Inszenierungen, man bewirbt ein Produkt. Dabei geht es um die Frage, wie wir leben wollen.“
Kommunale Kulturarbeit fördert, unterstützt, berät, gestaltet, entwickelt und vernetzt
Beispielgebend waren im Mai 2018 die Wiener Kunst- und Kulturinteressenvertretungen, welche anlässlich der Vorstellung der neuen Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler einen umfassenden Anforderungskatalog in einer Pressekonferenz vorgestellt haben. Es bräuchte
- ein neues Amtsverständnis. Hauptaugenmerk muss hierbei auf Leistungen für zeitgenössische Kunst und Kultur liegen, nicht auf Repräsentation.
- das Selbstverständnis, dass Kunst und Kultur Werte an sich sind und ihren Wert nicht nur darin begründen, dass sie zu irgendetwas nützlich sind. Kunst und Kultur sind gesellschaftsbildend.
- ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit und Streitbarkeit, um sich für den gesellschaftspolitisch hohen Wert von Kunst und Kultur stark zu machen.
- Wertschätzung und Kenntnis des Kulturerbes und der Wiener Szene, vor allem der zeitgenössischen Kunstschaffenden sowie der verschiedenen zeitgenössischen Strömungen.
- ein Verständnis für Zusammenhänge und Widersprüche zwischen zeitgenössischer Kunst und Kulturerbe.
- ein klar definiertes Arbeitsprogramm mit Evaluierung nach jeweils zwei Jahren.
- einen systematisierten Austausch mit und Einbindung von Vertreter:innen aller von Maßnahmen betroffenen Personengruppen und Einrichtungen, keine Audienzen.
- ein gemeinsames Entwickeln von Programmen mit den Vertreter:innen aller von Förderungsmaßnahmen betroffenen Personengruppen und Einrichtungen.
- ressortübergreifendes Agieren und Denken u. a. mit dem Bildungsbereich, der Stadtentwicklung und dem Wohnbau.
Daraus ergeben sich folgende Kompetenzen einer zeitgemäßen Kulturarbeit, die auch im Jahr 2022 nichts an Relevanz verloren haben. Sie erfordert …
- flexibles und vernetztes Denken.
- Fachwissen, auch im Sinne, dass die richtigen Expert:innen zu Rate gezogen werden.
- Kommunikations- und Mediationsfähigkeit.
- Verständnis für die Sprache der Kulturschaffenden, insbesondere jedoch auch für die Sprache von Politik und Wirtschaft.
- Bewusstsein, Beteiligungsformate zu implementieren, zuzulassen und daraus die richtigen Schlüsse für die Kulturarbeit zu ziehen.
Die Förderung von zeitgenössischen Kunst- und Kulturformen, von Kulturvermittlung, die Entwicklung von kultureller Vielfalt auf Basis eines breiten Kulturverständnisses (https://www.unesco.de/sites/default/files/2018-03/1982_Erklärung_von_Mexiko.pdf), die Förderung des künstlerischen Nachwuchses, der sozialen Interaktion und von zivilgesellschaftlichem Engagement stehen im Fokus einer zeitgemäßen kommunalen Kulturverwaltung. Dabei gilt es,
- eine positive Entwicklung des Kulturbudgets zu garantieren,
- herausragende Projekte im Kontext von Exzellenz und Relevanz weiterzuentwickeln,
- eine alternative Öffentlichkeit, sprich „Nicht-Besucher*innen“ im Sinne einer Meinungsvielfalt zu fokussieren,
- neue Initiativen, Formate, (Kultur-)Vereine und Künstler:innen zu fördern, ihnen Raum für Entwicklung anzubieten, insbesondere für visuelle und digitale Kunstformen, aber auch das Bewusstsein für kulturelles Erbe zu steigern und den internationalen Kulturaustausch zu forcieren
- sowie Kunst- und Kulturproduktion als Reflexionspotenzial anzuerkennen, mit deren Hilfe sich die Gesellschaft mit der Welt und dem Menschsein auseinandersetzen kann.
Kultur für alle im 21. Jahrhundert
Eine „Kultur für alle“, wie es der deutsche Kulturpolitiker und Autor Hilmar Hoffmann beschrieben hat, scheint durch die Corona-Pandemie und die Systemrelevanz einer kulturell-kreativen Auseinandersetzung wieder mehr an Bedeutung zu erlangen. Bereits im Jahr 1979 thematisierte Hoffmann „neben den traditionellen Institutionen neue Felder wie Film, Jazz, Medien, alternative Kultur, kulturelle Zielgruppen und kulturelle Freizeit als satisfaktionsfähige Größen einer zeitgemäßen Kulturarbeit und richtete das ‚neue‘ Programm nicht nur an das habituelle Bildungsbürgertum“.
Die Transformation im 21. Jahrhundert geht noch einen Schritt weiter: Beteiligung, offene Bühnen, neues Zusammenwirken der einzelnen Sparten, Raum für kreative Entwicklung sind vier Schlagworte, die auf einer „Kultur für alle“ im Weitesten gelten.
Die Kulturverwaltung muss das große Ganze eines breiten Kulturbegriffs im Blick haben, angefangen vom Amateur in der Blasmusikkapelle hin zu den Profimusiker*innen und einer Debatte über gesellschaftliche Werte.
Den gesamten Artikel finden Sie hier: KUL_2022_80_Thoma_Bitsche_final