Die deutsche Kulturberaterin Elke Sieber spricht über die Entwicklung von Kulturstrategien am Beispiel der Stadt Chemnitz, Bewerberin für die Kulturhauptstadt Europas 2025.
„In Chemnitz ist bei allen Beteiligten die Bereitschaft sehr groß, Verantwortung für den Prozess zu über- nehmen und Teil der Bewegung zu werden“, sagt die Kulturberaterin Elke Sieber. Seit Sommer 2017 begleitet Sieber in Chemnitz die finale Phase in der Entwicklung einer Kulturstrategie, die auf den Erkenntnissen der Jahre 2004 bis 2012 aufbaut und nun mit Blick auf 2030 die kulturpolitischen Rahmenbedingungen neu ordnen soll. Die neue Kul- turstrategie soll auch eine Grundlage für die Bewer- bung als Kulturhauptstadt Europas 2025 bilden.
Elke Sieber studierte Kunstgeschichte und Literatur- wissenschaften an der Universität Karlsruhe. Sie lehrt am Karlsruher Institut für Technologie, an der Karlshochschule und an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Seit 2012 ist Elke Sieber mit ihrer Unternehmensberatung „sieber I wensauer- sieber I partner“ in der Kulturberatung aktiv. Zuvor war sie unter anderem Leiterin des Kulturbüros der Stadt Karlsruhe sowie zuvor Marketingleiterin der Bewerbung von Karlsruhe zur Kulturhauptstadt Europas 2010.
Frau Sieber, Kulturentwicklungspläne, Leitbilder und Kulturstrategien boomen: Warum setzen Kommunen und Regionen immer häu ger auf Pläne für ihre kulturelle Entwicklung?
Da gibt es aus meiner Sicht mehrere Gründe: Viele Kommunen haben in der Vergangenheit bereits Kul- turentwicklungspläne oder -strategien erarbeitet,doch zu den damaligen Rahmenbedingungen und manchmal auch „im stillen Kämmerlein“. Jetzt geht es grundsätzlich darum, die Konzepte einerseits unter stärkerer Einbeziehung der Kulturakteure und Berücksichtigung der spezifischen Situation vor Ort agil und kooperativ weiterzuentwickeln, andererseits aber auch kulturpolitisch zu fokussieren. Ein weiterer Punkt sind neue Themen wie Migration, Digitalisierung oder veränderte Lebens- und Arbeitswelten, welche die Schwerpunkte verschieben. Ich beobachte zudem einen Trend weg von spartenorientierten und hin zu spartenübergreifenden Betrachtungen. Auf diese Weise werden auch kulturfernere Zielgruppen verstärkt in den Diskurs einbezogen.
Wie breit soll ein Strategieprozess angelegt werden und welche Methoden erachten Sie dabei als sinnvoll?
Vorweg gilt es, einen breiten Kulturbegriff zu defi- nieren. Zudem sind die Leistungen von Kulturak- teuren und Kultureinrichtungen im sozialen oder wirtschaftlichen Feld mittlerweile anerkannt. Ande- rerseits müssen wir darauf achten, dass Kulturkon- zepte umsetzbar und schlank bleiben. Sie müssen eine gewisse Dynamik der Veränderung beinhalten, auf die man auch im Prozess selbst reagieren kann. Der Entstehungsprozess an sich ist schon ein sehr wichtiger Teil für das Ergebnis. Hier ist eine ganz- heitliche systemische Betrachtung immer von Vorteil und die Transformation der Ergebnisse in den Alltag wesentlich.
Sie begleiten die Überarbeitung der Kulturstrategie der Stadt Chemnitz. Was bedeutet dieser Prozess für das Team des Kulturamtes?
Wir arbeiten mit unserer Beratungs rma am liebsten mit dem Modell eines joint teams, das aus den Verantwort- lichen vor Ort und mir als „Externe“ besteht. In Chemnitz ist die Bereitschaft sehr groß, Verantwortung für den Prozess zu übernehmen und „Teil der Bewegung“ zu werden. Außerdem ist in den Jahren 2002 bis 2004 bereits eine breit angelegte Kulturentwicklungsplanung erarbeitet worden, auf die wir wunderbar aufsetzen können. Aus meiner Sicht kann eine Strategie nur dann erfolgreich entwickelt und umgesetzt werden, wenn die Akteure und Verantwortlichen vor Ort mit Herz und Verstand von der Sache überzeugt sind und sich aktiv einbringen. Ich versuche, die strategische Vorgehens- weise zu sichern, die Menschen zu „empowern“ und zu motivieren, ihnen womöglich auch Sorgen zu nehmen. Es geht auch darum, Dinge kritisch zu hinterfragen.
Die Stadt Chemnitz will 2025 Kulturhauptstadt Europas werden. Welche Chancen sehen Sie in der Verbindung der kulturstrategischen Arbeit mit dieser Bewerbung?
Es ist eine große Chance, diese beiden Entwicklungen zu verbinden. Ich meine damit die Inhalte und Projekte, aber auch Kooperationen und Netzwerke, die entstehen und sich entwickeln können. Die positiven Wirkungen zeigen sich jetzt schon. Für den Erfolg ist immer wichtig, dass die Ergebnisse qualitativ hochwertig sind und eine möglichst breite Akzeptanz finden. Und letztendlich müssen diese Ergebnisse zur jeweiligen Stadt passen. Chemnitz ist eine großartige Kulturstadt mit vielen engagierten und klugen Akteuren.